In Begegnung treten ...
Immer noch nagt sie an mir, diese Frage, warum gerade Wir, warum
gerade Du und ich. So viele Menschen begegnen uns, jeden Tag, manche flüchtig,
im Vorübergehen. Manche bleiben einen Moment stehen, sehen uns vielleicht an,
wechseln ein paar Worte mit uns, und dann sind sie auch schon wieder weg und
hinterlassen keine Spuren. Manche wiederum ziehen uns in ein Gespräch und wir
nehmen Worte, Gedanken mit. Einige, wenige begleiten uns ein Stück, um dann
wieder einen anderen Weg einzuschlagen, doch Du, Du hast mich an der Hand
genommen, hast mich mitgenommen nicht nur in Deine Worte und Deine Gedanken,
sondern in Dich. Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam, doch selbst wenn wir
nicht gemeinsam gehen, bist Du bei mir, und ich bei Dir. Aber warum gerade Wir?
Warum gerade Du und ich? Was ist es, was Dich mir und mich Dir heraushebt aus
all den anderen? Ist es, weil wir es vermochten uns anzurühren, im Innersten?
Ist es, weil Du in mir Seiten zum Klingen bringst, deren Klang ich selbst nicht
kannte? Ist es, weil ich über Dich meine Möglichkeiten zu finden weiß? Ist es,
weil ich in der Behaustheit, die Du mir schenkst sein, selbst sein kann? Ist
es, weil ich zu Dir Du sagen kann, wie ich es zu niemanden sonst sagen kann?
Ist es, weil Du mich erfüllst und beflügelst und wachsen lässt? Oder ist es
eine bloße Anmaßung, nichts weiter als der subtile Wunsch all dies zu erleben und
ich benutze Dich dafür dies zu ermöglichen? Ist es vielleicht nichts weiter als
eine ganz besonders perfide Form des Narzissmus? Aber wie kann es das sein,
wenn ich Dir gut tue, wenn Du sagst, dass Du Dich entfalten kannst, dass ich
Dich beflügle? Wie könnte es sein, wenn Du doch gestärkt wirst?
Wir sind einander begegnet und hatten zwei Möglichkeiten, die
Begegnung geschehen zu lassen oder sie zu verhindern, die Türe zu uns zu
öffnen, oder sie verschlossen zu halten. Wir haben sie geöffnet, Du auf Deiner
Seite und ich auf meiner, die Türe zum Raum der Begegnung, haben sie geöffnet
und sind eingetreten. Warum gerade haben wir hier die Türe geöffnet und nicht
verschlossen gehalten? Warum sind wir gerade hier in den Raum der Begegnung
eingetreten und haben uns nicht weiter bedeckt gehalten? Wir zwei alleine im
Raum der Begegnung, das ist ein Wagnis, auf das wir uns einlassen, das Wagnis
der Öffnung und der Verwundbarkeit. Dort, im Raum der Begegnung, dort bin ich
Dir ausgeliefert, so wie Du mir. Viele Narben haben wir schon davongetragen aus
früheren Begegnungen, doch immer wieder wagen wir es, immer wieder lassen wir
uns darauf ein. Manchmal werden wir bestraft und verletzt. Manchmal werden wir
belohnt und bleiben heil. Doch hier, im Raum unserer Begegnung, da geschieht
das Beschenken und Beschenkt-Werden. Da geschieht Wir.
Wer in Begegnung tritt, tritt ein und steht darin. Und wer in der
Begegnung steht ist herausgefordert zu sich selbst und zum Du. Du und ich sind
eingetreten, in den Raum der Begegnung, in den Raum der Wir-Werdung, haben den
Raum zur Behaustheit und zum Wir-Raum werden lassen, haben uns einander
eröffnet und in unserer Einzigartigkeit und Verwundbarkeit gezeigt und fanden
uns angenommen, gestärkt und behütet. Doch
immer noch nagt sie an mir, die Frage, warum gerade Wir, warum
gerade Du und ich.
1 Kommentar:
Wirklich schöne Verse . Ich Denke das man nach dem wie und warum nicht Fragen muss, sondern das Ist genießen sollte um nich vor lauter Grübelei zu Verpassen was es ist. Ich Denke allerdings auch viel über solche dinge nach und dadurch habe ich schon so einiges Schönes erst zu schätzen gewusst als es nicht mehr war.
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