Eine perfekte Lösung
Damals, als die Kinder
klein und seine Frau noch da war, da hatte er keine Zeit gehabt. Ein Foto
seiner Familie stand auf seinem Schreibtisch. Ab und an nahm er es zur Hand und
wünschte sich, er hätte mehr Zeit, die er mit seiner Frau und seinen Kindern
verbringen könnte. Hätte er sich nicht einfach Zeit nehmen können, damals? Wäre
es nicht irgendwie möglich gewesen einmal eine Stunde früher nach Hause zu
gehen, um mit ihnen über die Felder hinter dem Haus spazieren zu gehen oder mit
ihnen zu Abend zu essen, vielleicht die Spielkarten aus dem Schrank zu holen
und mit ihnen zu lachen? Er sah sich, da am Schreibtisch sitzend und seufzend
das Foto zurückstellend. Er musste arbeiten. Es ging nicht anders. „Natürlich
wäre es gegangen“, sagte er in Gedanken zu seinem jüngeren Ich, doch er
erreichte es nicht mehr, und so blieb er im Büro, zu einer Zeit, da sie noch da
waren, bei ihm und er nicht gänzlich verlassen.
Als sie da waren, hatte
er keine Zeit gehabt. Jetzt waren sie nicht mehr da, und er hatte Zeit. Aber
wem nützte das noch? Wem nützte er noch? Sinn- und ziellos streifte er durch
die Straßen, jeden Tag. Ab und an, wenn er nicht mehr weiter konnte oder
wollte, setzte er sich auf eine Bank und beobachtete die Menschen. Am liebsten
hätte er ihnen gesagt, was er jetzt wusste, dass man sich um die anderen
kümmern musste so lange man die Gelegenheit hatte, denn es kann so schnell
gehen, dass es zu spät ist. Dann, dieses dann, auf das man sich immer so gerne
verlässt, wird es nicht geben, denn die Menschen, die man für dieses Dann
einplant, werden nicht mehr da sein. Er sagte nichts, denn all die Eilenden und
Hetzenden hätten ihn nicht verstanden, so wie er es wohl damals auch nicht
verstanden hätte. Felsenfest wäre er damals davon überzeugt gewesen, dass sich
nichts ändert.
Max Mank beobachtete,
dass sich die Menschen nicht umeinander kümmerten, doch sie kümmerten sich um
ihre Hunde. Aus irgendeinem Grund schienen diese Menschen mehr Zeit zu haben,
diese Hundemenschen. Er sah, wie sie stehenblieben, einfach so, nur um ihren
Hund zu streicheln. Er sah, dass sie mit ihrem Hund redeten, so wie sie es mit
anderen Menschen nicht taten, außer wenn ein Hundemensch einen anderen traf,
dann blieben beide stehen und sie unterhielten sich. „Menschen mit Hund sind
anders, eben Hundemenschen“, sagte er zu sich selbst, und da kam ihm eine Idee.
Max Mank klingelte an
der Haustüre seiner Nachbarin, Friederike Frei. Mehr als die üblichen Grußworte
hatte er bis jetzt mit ihr nicht gesprochen, aber er wusste, dass sie Witwe war
und ebenfalls alleine in ihrem Häuschen lebte. Sie war eine stämmige, robuste
Frau, die nichts so leicht erschüttern konnte, doch Max Manks Frage versetzte
sogar sie in Erstaunen. „Guten Morgen“, hatte er gesagt, und ohne Umschweife
hinzugefügt, „Darf ich Ihr Hund sein?“ „Guten Morgen“, entgegnete sie ruhig,
während sie überlegte ob sie es nicht mit einem Irren zu tun hatte, den sie
vielleicht besser meiden sollte. „Seien Sie nicht ungehalten. Lassen Sie es
mich Ihnen erklären. Es dauert auch nur wenige Minuten“, bat Max. Wenn er schon
irre war, so doch auf eine gutmütige Weise, war Friederikes Ansicht, so dass
sie Max hereinbat.
Max Mank und Friederike
Frei fanden ein Einvernehmen, denn bereits am nächsten Tag sah man, wenn man
sehen wollte, eine Frau, die einen Mann an der Leine führte. Nichts als seine
Matratze hatte Max Mank aus seinem Haus mitgenommen, als er zu Friederike Frei
übersiedelte und seinen neuen Dienst als ihr Hund antrat. Zwei Mal am Tag wurde
er spazieren geführt, bekam regelmäßig seine Mahlzeiten und war für Friederike
ein treuer, geduldiger Zuhörer. In allem war er ihr ein guter Hund, nur am
Tisch von einem Teller essen zu dürfen, das hatte er sich ausgebeten.
1 Kommentar:
Kompliment, eine perfekte Lösung für die Einsamkeit in dieser urbanisierten Welt. ;-)
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