2404 Begegnung


Begegnung


Heute nacht war alles auf den Kopf gestellt, denn ich hatte eine Ankündigung, Ankündigung einer Begegnung. Ist es nicht so, dass nur Katastrophen sich ankündigen? Wenn es so gewesen wäre, dass Du vorbeigekommen wärst, formlos, zufällig, Dich zu mir gesetzt hättest, hier auf meinem Steg, dann wäre ich unbelastet gewesen. Ich hätte Dich eingeladen mir zu erzählen, ohne Vorbelastung, ohne Erwartung und ohne Verpflichtung. Doch das Wort verpflichtet, und auch wenn wir schon viele Worte gewechselt haben, so sollte dies hier unsere erste Begegnung sein, unsere erste, echte, reale Begegnung. Das Wort verpflichtet – und ich hatte so viele Worte getan, wir hatten so viele Worte getan. Angefangen bei einem vorsichtigen Herantasten, langsames Annähern, aufbauendes Kennenlernen. Vorsicht und Respekt kennzeichneten diese ersten Worte, doch mit der Zeit wurden sie wagemutiger, verwegener. Die Bilder, die wir zeichneten wurden klarer, detaillierter und fordernder. Wir gingen ein auf sie und weiter. Es war, als wären wir in einen Strudel geraten, der uns zunächst langsam, fast unmerklich, doch mit Konsequenz mit sich fortzog, immer schneller, ein Strudel, den unsere Worte heraufbeschworen und geformt hatten. Denn das Wort, einmal gesetzt, kann nicht mehr ungesetzt sein, bis alle Grenzen durchbrochen waren. Viel zu weit waren wir gegangen, mit unseren Worten. Und mit der Aussicht auf diese erste, reale Begegnung wurde mir brennend bewußt, dass die Bilder, die wir malten, nichts weiter als die Verbalisierung unserer Sehnsüchte und Träume waren, dass wir einander mißbraucht hatten einen Berg zu ersteigen, der hinter uns weggebrochen war. Wir konnten weder vor noch zurück. Und hier, in unserer ersten, realen Begegnung, würde es sich erweisen, würden wir wieder aufbauen und einen sicheren Abstieg ermöglichen oder ganz tief fallen. Warum muss ich mich auch immer wieder dazu verleiten lassen zu fliegen? Sollte ich es nicht langsam besser wissen? Sollte ich nicht langsam Bescheid wissen? Ja, ich weiß Bescheid, aber wenn mich meine Bilder entführen, wenn sie mich weit in die Lüfte heben, dann fühle ich mich unverwundbar, um letztendlich doch immer wieder eines Besseren belehrt zu werden. Es ist wie ein Rausch, nur dass er die Sinne nicht betäubt, sondern schärft. Maßlose Selbstüberschätzung, hybrische Überheblichkeit.

Heute nacht war alles auf den Kopf gestellt. Ich fror, trotz des vollen, warmen Mondes. Ich war nicht Herrin, sondern Sklavin der Nacht. Und die Gefangenschaft in der Möglichkeit zwang mich dazu mich klein zu machen. So groß und weit meine Gedanken zuvor waren, so sehr zogen sie sich zurück, und ich mich mit ihnen. Es war nicht mehr meine Nacht. Bis klare, ruhige Schritte die Stille durchbrachen, um unmittelbar hinter mir zum Stehen zu kommen. Ich vermochte es mich aufzurichten, mich Dir zuzuwenden, meinen Blick in Deinen zu heben, und mit einem Mal wußte ich, dass die Bilder nicht real waren, die wir malten, aber dass wir miteinander reale malen würden.

Heute nacht war alles auf den Kopf gestellt. Es war nicht meine Nacht, sondern unsere.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Das gefällt mir sehr, macht mich aber auch sehr traurig. Es ist auch eine gute Selbstanalyse. Was bedeuten Worte überhaupt? Sie können einen ungeheuer einlullen, aber sie sind nun mal das Medium, mit dem wir uns größtenteils ausdrücken, und mitteilen, uns offenbaren. Man sollte meinen, was man sagt.