Begegnung
Heute nacht war alles auf den Kopf
gestellt, denn ich hatte eine Ankündigung, Ankündigung einer Begegnung. Ist es
nicht so, dass nur Katastrophen sich ankündigen? Wenn es so gewesen wäre, dass
Du vorbeigekommen wärst, formlos, zufällig, Dich zu mir gesetzt hättest, hier
auf meinem Steg, dann wäre ich unbelastet gewesen. Ich hätte Dich eingeladen
mir zu erzählen, ohne Vorbelastung, ohne Erwartung und ohne Verpflichtung. Doch
das Wort verpflichtet, und auch wenn wir schon viele Worte gewechselt haben, so
sollte dies hier unsere erste Begegnung sein, unsere erste, echte, reale
Begegnung. Das Wort verpflichtet – und ich hatte so viele Worte getan, wir
hatten so viele Worte getan. Angefangen bei einem vorsichtigen Herantasten,
langsames Annähern, aufbauendes Kennenlernen. Vorsicht und Respekt
kennzeichneten diese ersten Worte, doch mit der Zeit wurden sie wagemutiger,
verwegener. Die Bilder, die wir zeichneten wurden klarer, detaillierter und
fordernder. Wir gingen ein auf sie und weiter. Es war, als wären wir in einen
Strudel geraten, der uns zunächst langsam, fast unmerklich, doch mit Konsequenz
mit sich fortzog, immer schneller, ein Strudel, den unsere Worte
heraufbeschworen und geformt hatten. Denn das Wort, einmal gesetzt, kann nicht
mehr ungesetzt sein, bis alle Grenzen durchbrochen waren. Viel zu weit waren
wir gegangen, mit unseren Worten. Und mit der Aussicht auf diese erste, reale
Begegnung wurde mir brennend bewußt, dass die Bilder, die wir malten, nichts
weiter als die Verbalisierung unserer Sehnsüchte und Träume waren, dass wir
einander mißbraucht hatten einen Berg zu ersteigen, der hinter uns weggebrochen
war. Wir konnten weder vor noch zurück. Und hier, in unserer ersten, realen
Begegnung, würde es sich erweisen, würden wir wieder aufbauen und einen
sicheren Abstieg ermöglichen oder ganz tief fallen. Warum muss ich mich auch
immer wieder dazu verleiten lassen zu fliegen? Sollte ich es nicht langsam
besser wissen? Sollte ich nicht langsam Bescheid wissen? Ja, ich weiß Bescheid,
aber wenn mich meine Bilder entführen, wenn sie mich weit in die Lüfte heben,
dann fühle ich mich unverwundbar, um letztendlich doch immer wieder eines
Besseren belehrt zu werden. Es ist wie ein Rausch, nur dass er die Sinne nicht
betäubt, sondern schärft. Maßlose Selbstüberschätzung, hybrische
Überheblichkeit.
Heute nacht war alles auf den Kopf
gestellt. Ich fror, trotz des vollen, warmen Mondes. Ich war nicht Herrin,
sondern Sklavin der Nacht. Und die Gefangenschaft in der Möglichkeit zwang mich
dazu mich klein zu machen. So groß und weit meine Gedanken zuvor waren, so sehr
zogen sie sich zurück, und ich mich mit ihnen. Es war nicht mehr meine Nacht.
Bis klare, ruhige Schritte die Stille durchbrachen, um unmittelbar hinter mir
zum Stehen zu kommen. Ich vermochte es mich aufzurichten, mich Dir zuzuwenden,
meinen Blick in Deinen zu heben, und mit einem Mal wußte ich, dass die Bilder
nicht real waren, die wir malten, aber dass wir miteinander reale malen würden.
Heute nacht war alles auf den Kopf
gestellt. Es war nicht meine Nacht, sondern unsere.
1 Kommentar:
Das gefällt mir sehr, macht mich aber auch sehr traurig. Es ist auch eine gute Selbstanalyse. Was bedeuten Worte überhaupt? Sie können einen ungeheuer einlullen, aber sie sind nun mal das Medium, mit dem wir uns größtenteils ausdrücken, und mitteilen, uns offenbaren. Man sollte meinen, was man sagt.
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